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27. September 2020

Was tun wir nicht alles

Dies ist für alle meine Freunde und Kollegen dort draußen.
Als Zeichen der Solidarität. Und als weitere Stimme im Chor der Rufenden, gerichtet an jene, in deren Verantwortung es liegt, endlich Maßnahmen zu ergreifen. Und zwar Maßnahmen unabhängig von irgendwelchen subjektiven Urteilen, Vorurteilen und Verurteilungen, was in diesem Lande Kultur ist und was nicht.
Dies ist kein Gejammer. Dies ist kein Diskussionsanstoß zur Pandemie und dem Sinn oder Unsinn der so genannten Corona-Beschränkungen.
Es geht nur um eine Berufsgruppe, die keine Lobby besitzt, außer ihren Fans, Besuchern, Zuschauern und Hörern.



Was tun wir nicht alles

… um andre nicht durch Nähe zu gefährden?
Doch wird es wieder so wie früher werden?

Wenn alle sich ans Einsam-Sein gewöhnen
und unter Masken endlich nicht mehr stöhnen?
Wer wird zu Geigen, Lauten, Trommeln greifen,
wenn in ihm Furcht und Existenzangst reifen?
Wenn viele all die steinig-harten Wege
gezwungen sind von vorn zurückzulegen?
Wie Sisyphos dem Stein blickt hinterher,
der in das dunkle Tal rollt, groß und schwer.
Die Plätze vor Manegen und den Bühnen,
wo ungeknickt die Wiesengräser grünen.

Noch schwingst du am Trapez sanft hin und her,
die Finger taub. Die Luft ist bald schon leer!
Du siehst die Clowns verschwinden mit den Netzen,
und stürzt du ab, wirst du dich schwer verletzen.

Vorm Spiegel übst du Mimik und Gebärden.
Doch wird es wieder so wie früher werden?

Und wird’s nicht eher so, wie’s davor war,
vor Publikum, Applaus, Verehrer-Schar?
Als deine Träume Angst und Trauer schürten,
weil deine Eltern nicht das Feuer spürten,
den Weg als Kapriole, Leichtsinn sahen
und jeden Tag, seit Jahrn, das Ende nahen.
Du hast gelernt, geübt, warst nie untätig.
Doch nun sieht sich ein jeder – froh! – bestätigt.

Dein Weg war voller Herzblut, doch riskant,
und plötzlich bist du wieder „Musikant“.

Du hast so viel geleistet und gewagt
und hörst das alte „Hab ich’s nicht gesagt?“
Die Opfer, die du brachtest, warn so viele,
und du erreichtest ungeahnte Ziele
und schuftetest dich krumm fürs täglich Brot,
doch plötzlich herrscht für dich Berufsverbot.

Du legtest Hand an hinter den Kulissen.
Wird man die unsichtbare Kraft vermissen?

Die vielen guten, arbeitsamen Hände,
die Tatkraft, ohne die nichts je stattfände.
So viele Helfer bündeln all ihr Streben,
um Bühnen nur für andere zu geben.
Sie stehn am Rand, wenn andre darauf singen,
Theater spielen oder Saltos springen.
Sie schieben kunstvoll Regler, drehn die Knöpfe,
zerbrechen sich den ganzen Tag die Köpfe.
Sie müssen, wollen immer Einsatz bringen,
und ohne sie gäb es auch kein Gelingen.
Ob sie die „Stars“ zur Bühne eskortieren,
sie Technik oder Licht organisieren,
sie hunderte mit Speis und Trank versorgen,
die Bühnen auf- und abbaun bis zum Morgen.
Ob sie mit Klemmbrett oder Schraubenschlüssel
hantieren, oder mit Besteck und Schüsseln,
ob sie bewaffnet sind mit Puderquasten,
mit Eyelinern, Kajal, Mephistomasken,
sie tragen Wichtiges zum Ganzen bei,
sind alle Teil der großen Zauberei.

Denn ohne sie wär alles öd und leis
und alles dunkel ohne ihren Fleiß.
Oft sehr bescheiden und doch so famos,
nun sind sie unsichtbar UND arbeitslos.
Wie viele können später wiederkehren,
wenn wir Respekt und Hilfe heut verwehren?
Das Abseitsstehen ohne Ruhm ist eines,
doch etwas völlig anderes, Gemeines,
ist’s, sagt man diesen Menschen, einfach allen,
dass sie auch durch Gesellschaftsmaschen fallen.
Wer wendet sich nun ab von dem Problem?
Warum versagt das Solidarsystem?
Wie solln sie alle ihren Mut erneuern?
Wie durch der Zukunft Nebelbänke steuern?
Sie gaben alles, auch für dich und mich.
Jetzt lässt man sie mit ihrem Werk im Stich.
Nun brauchen sie auch einmal Rampenlicht.
Seht ganz genau hin, es ist eure Pflicht!

Nicht alles lässt sich in Applaus bemessen,
verhallt wird er bald sein, wie wir vergessen.
Wir rufen zwar: „Our show, it must go on!“

Doch wenn man uns nicht hilft, sind wir verlorn.
So viele Rücken sind uns zugekehrt.
Los, nehmt uns wieder wahr, wir sind es wert!
Wir sind nicht Taugenichtse, Vagabunden,
wir haben uns genau wie ihr geschunden,
sind Steuerzahler und Gesellschaftsstützen!
Nun wär es an der Zeit, auch uns zu schützen.

Wir wollen keine läppischen Almosen,
doch fühlen wir uns langsam ausgestoßen,
vergessen, als entbehrlich abgestempelt.
Es wurde unser Dasein umgekrempelt,
und schuldlos dürfen wir nun nicht mehr glänzen.
Das ist das Ende vieler Existenzen.

Mit uns habt ihr so vieles zu verlieren,
dabei sind es doch Jobs, die funktionieren,
oft Lebens- und Berufsspezialkonstrukte,
genial und einzigartig, doch nun schluckte
die große Depression der Pandemie
so viele. Die erholen sich auch nie.
Man lässt sie alle nun im Regen stehen.
Und bald werden sie in der Schlange gehen,
so wie das Publikum zu tun es pflegte,
bevor man uns Zwangspausen auferlegte.

Konzernen hilft man gerne mit Millionen,
Milliarden gar, und rettenden Aktionen,
dem Geld, das auch von unsren Steuern stammt.
Im Ernst, für uns bleibt nur der Weg zum Amt?


Die Umsätze, die man gemeinsam schaffte,
die Steuern, die der Fiskus an sich raffte,
das alles soll nun anderen bloß nützen?
Wir sollen das System zwar unterstützen,
doch geht es nun auch um das Profitieren,
solln wir viel mehr als andre nur verlieren?
Als ob die Branche nichts gewesen wär?
Verzeihung, das klingt nicht gerade fair.

Und offensichtlich ist: Greift niemand ein,
wird für uns bald endgültig Stille sein.

Und dunkel bleiben bald auch die Theater,
es freun sich immerhin Steuerberater.
Nichts gegen den Beruf! Nicht falsch verstehn.
Wir sind bereit, den harten Weg zu gehn.
Sind weiterhin bereit, uns zu verschleißen
und täglich unsre Ärsche aufzureißen.
Wir machen uns auch gern für euch zum Affen,
doch ohne Hilfe ist das nicht zu schaffen.

Es ist schon heute leider völlig klar:
Für uns wird nichts mehr sein, wie es mal war.

Muss für uns, um nicht andre zu gefährden,
denn wirklich alles so gefährlich werden?